Murray Gell-Mann und Du

Als jemand im akademischen Dunstkreis des momentan omnipräsenten Themas „KI“ sehe ich mich stets in Gefahr, Facepalm-bedingte Gedächtnislücken zu erleiden; beinahe täglich sind in überragionalen Medien Artikel zu lesen, die wahlweise unkundig oder haarsträubend naiv oder beides sind.

Das wäre für mich persönlich der Strafe genug (Augen auf bei der Berufswahl!), kennte ich nicht den wunderbaren „Gell-Mann-Amnesia-Effekt“.

Benannt nach einem meiner Lieblingsphysiker1, stellt sich die Sache ungefähr so dar:

Man öffnet einen Zeitungunsgartikel (oder Online-Publikation) mit einem Thema, dessen man kundig ist. (Im Falle Gell-Manns wäre das Physik, aber es dürfte klar werden, dass es mutatis mutandis für beliebige Themen anwendbar ist.) Für mich wären übliche Verdächtige die Versicherungswirtschaft, Künstliche Intelligenz, Autonomes Fahren und ein paar weitere.

Man liest also den Artikel und kommt binnen Sekunden zu dem Schluss: Der Journalist hat absolut überhaupt keine Ahnung von der Problemstellung, den Fakten oder (meistens) beidem. Nicht selten ist der Artikel so falsch, dass Ursache und Wirkung derart vertauscht sind, dass man absolut nichts daraus mitnehmen, geschweige denn lernen könnte, Marke: „Nachts ist es kälter als draußen.“

Man liest also den Artikel zuende oder lässt es. Gell-Manns wesentliche Beobachtung: Wenn man sich nun einem Thema zuwendet, von dem man eher wenig versteht, ist die Annahme plötzlich eine andere: Der Autor versteht, was er tut, die Fakten sind richtig, die Zusammenhämge zutreffend wiedergegeben.

Wenn Du also das nächste Mal über Quantum Computing, Cryptowährungen, den Nahost-Konflikt oder allgemeine Knappheit von Toilettenpapier liest, denke an den Gell-Mann-Amnesia-Effekt: Die Chance, dass der Faktengehalt so niedrig ist, dass Du abgesehen von dem Anlass für den Artikel wahrscheinlich nichts mitnehmen kannst.

Schade eigentlich.

  1. Angeblich so benannt von Michael Crighton, siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Michael_Crichton#Gell-Mann_amnesia_effect ↩︎

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